Dienstag, 26. April 2011

Tahrir


Seit Mubarak und sein Clan in Haft sind, sind auch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz verschwunden. Das Spiel ist einfach, wie mir Mahmoud Refat, der Kairoer Musiker versichert: bleibt das Militär aktiv im Sinne der Demonstranten, bleiben sie ruhig. Wenn nicht, sind sie sofort wieder da.
Die gleiche Rechnung wird auf der anderen Seite aufgemacht: Halten die Demonstranten die Ausgangssperre nicht ein, wird der Platz geräumt.
Ein fragiles Gleichgewicht......

Mount Moussa


Montag, 18. April 2011

DISCARNATE MAN 03

Welch verrückte Performance!
Wenn trotz ausgiebiger Tests die Technik im entscheidenden Moment versagt, wenn kurz vor dem Aufbruch der Fahrer des Eselkarrens Angst bekommt in das Viertel El Moneb zu fahren, er dann am vereinbarten Treffpunkt nicht da ist und dann doch auftaucht, wenn nur unsere Anwesenheit einen Volksauflauf verursacht, wenn unser Security Man nervös wird, wenn dann auf einmal doch alles funktioniert, wenn dann Unterbrechungen geschehen....so viele Widrigkeiten, und dennoch die Performance gelingt.

Die Ablenkungsgefahren für mich sind enorm. Kamera und Ohrhörer am Kopf, lange Kabel verbinden mich mit dem Labtop. Viele Menschen bestürmen mich, vor allem Jungs, Teens, die mit mir in Kontakt treten wollen, mit Fragen, Antippen, Rufen etc. Es ist der musikalische Kontakt mit Jan Kurth am anderen Ende der Skype-Verbindung, der mir hilft bei der Musik und unsrer musikalischen Kommunikation zu bleiben. Unser Kairo-Zufallspublikum schafft eine Geräuschkulisse, die ich nicht ignorieren kann. Es wird gejohlt, geklatscht, telefoniert... Doch es fügt sich zusammen. Im gemächlichen Schritt des Eselkarrens kann ich – hoffentlich sichtbar für das Freiburger Publikum – den Blick zum Himmel wenden. Dort gibt es einen hellen dreiviertel Mond, ein beleuchtetes Minarett und Dunkelheit - ein wunderbares, friedliches Bild. Oder Feuer in der Dunkelheit, Müll der verbrennt. Das stinkt außerordentlich und sieht gespenstisch aus. LKWs fahren durch die Szenerie, die Scheinwerfer machen gleißendes Licht. Insgesamt eine inspirierende Situation. Ich kann über eine weite Entfernung ein Duo spielen, in den Klang eintauchen, eine Antwort von Jan ins Spiel aufnehmen und für Momente verbinden sich die Klänge zu einem Musikstück, jenseits aller Zeiten und Räume. Plötzlich verschmilzt dann alles: Jan singt, das Publikum in El Moneb klatscht einen Rhythmus, den ich aufnehme und so wird das Konzert ein Trio. Straßenkids, der Gesang, das Violinspiel.

Das Ende kommt jäh. Daniel gibt Zeichen zum Abbruch. Das Publikum verhält sich zunehmend bedrohlich, die Frauen unseres Teams werden begrapscht und belästigt, die anfängliche Neugier schlägt in wachsende Aggressivität gegenüber dem gesamten Team um.
Fast fluchtartig packen wir zusammen und fahren weg. Erst beim Bier im nahe gelegenen Hotel realisiere ich, welchem Stress das Team ausgesetzt war. Ein großes Kompliment, wie mir der Rücken freigehalten wurde. Ich hab während unsrer Aktion davon nichts mitbekommen.

Montag, 11. April 2011

Gegenwärtigkeit


Schon die ganze Zeit möchte ich schreiben über die Klänge dieser Stadt, den Lärm, die Musik, das Tempo etc. Aufgenommenen Sound möchte ich bearbeiten und hochladen. Ich möchte schreiben über die Performance im Goethe-Institut, über das kommende Skype Konzert Kairo - Freiburg mit Jan Kurth, über die künstlerischen Begegnungen mit dem CIC, Karima Mansoor, Mahmut Refat, über die German University Cairo GUC, über das Team dort, über das Taxi- u. Metrofahren, über Regen in Kairo, über den Verkehr und und und.
Ich  bin jedoch so mit Gegenwärtigkeit beschäftigt, zum Aufarbeiten bleibt fast kein Raum.

CairoRoundabout 1

Tahrir 11/04/2011


Gefahren

Die Spannung in der Stadt ist merklich gestiegen. Nachdem es Freitagnacht nach den Demonstrationen zum ersten mal wieder Tote gegeben hat, herrscht nervöse Unruhe in der Innenstadt. Der Tahrirplatz ist mit Stacheldrahtzäunen für den Verkehr gesperrt. Auf dem Platz sind viele Menschen, entweder friedlich sitzend oder in kleinen Gruppen heftig diskutierend. Ich hatte mich für heute mit der Tänzerin Karima Mansoor für eine Impro im Goethe-Institut verabredet. Die Metro-Station, um dahin zu kommen, ist der Tahrirplatz. Da ich zu früh war, nehme ich nicht den direkten Ausgang zum Goethe-Institut, denn ich möchte über den Platz schlendern, um in die Atmosphäre einzutauchen. Am Ende der Metro-Treppe angekommen, spricht mich ein junger Ägypter freundlich an und bittet mich zur eigenen Sicherheit wieder zurückzugehen und mir einen anderen Metro-Ausgang zu suchen. Etwas Unübersichtliches ist im Gange....
Nach der Probe wieder am Platz. Ich möchte Fotos machen. Nicht ganz so freundlich werde ich gebeten, doch damit aufzuhören....
Hier im Stadtteil Maadi, wo ich wohne, ist von all dem nichts zu spüren. Im Café Cilantro, wo ich dies schreibe, sitzen Ausländer wie ich und trinken fröhlich Tee und Cola.

Ganz anders sieht die Gefahr auf dem Sinai aus. Während es in Kairo rundgeht, habe ich zwei friedliche Tage in einer Feriensiedlung am Roten Meer, alles ruhig, Sonne, Wind, die Seele spannt aus. Beim Vorabendausflug in die nahen Küstenberge, stehe ich mit Daniel mit einem Mal über einem kleinen versteckten Tal, das eine Cannabis-Plantage verbirgt. Nicht nur das, auch vier Beduinen sind da, die in dem Moment, in dem sie uns erblickten, wild aufspringen und drohend auf uns zugelaufen kommen. Wir gehen langsam davon, die Beduinen folgen. Dem Problem gelassen ins Auge sehen hilft: die Hand zum Gruß ausgestreckt und eine kurze Unterhaltung und alles ist geklärt. Wir gehen friedlich auseinander. Danach hab ich allerdings keine weitere Lust auf diesen Ausflug...das hätte auch anders ausgehen können.







Dienstag, 5. April 2011

Eintauchen


Im Vergleich zum Dezember, als ich zum ersten Mal hier war, scheint die Stimmung geändert. Liegt es an meinem längeren Aufenthalt und dem Mehr an Zeit zum Beobachten, liegt es an meinem jetzt differenzierteren Wissen über Kairo, liegt es an dem, was hier alle Ägypter, mit denen ich zu tun habe, als Revolution bezeichnen oder liegt es daran, dass hier einfach der Korken von der Flasche ist: es scheint mehr Fluss in die Gesellschaft gekommen zu sein.
Überall sprießen Initiativen aus dem Boden, Kulturschaffende verbinden sich, Fotografen, Bildende Künstler, Musiker, Tänzer, Choreographen, alle sind am Aufbauen, Diskutieren und – freitags auf dem Tahrirplatz – am Demonstrieren.

Vergangenen Samstag fand vor dem Abdeen Palace  – eine der offiziellen Residenzen des ägyptischen Präsidenten - zum ersten Mal ein frei organisiertes Festival statt, gleichzeitig in allen größeren Städten des Landes, von Künstlern selbst auf den Weg gebracht, undenkbar noch vor wenigen Wochen. Eine Atmosphäre wie ich sie nur aus den Siebzigern bei uns kenne: Musik von packend bis konventionell, Literaten, die ihre Texte vortragen, Liedermacher; Menschen, die eine Rede halten, jeder darf auf die Bühne –zwar nach organisiertem Ablauf, aber ohne alle Zensur (das für mich Beeindruckendste: ein junger geistig Behinderter Mann, der nur schwer seine Worte findet, dem aber alle aufmerksam lauschen und großen Beifall schenken).
Bücherstände, Malaktionen, aufgehängt Bilder, große Bilder (s.u.) der neuen ägyptischen Ikonographie: die Millionen auf dem Tahrirplatz.
Die Leidenschaftlichkeit, mit der hier die Menschen handeln, befreit von Verboten und Verhaftungen  öffnet immense Kräfte und ist mit allen Sinnen greifbar. Es ist zutiefst berührend.

Ich war dort auf Einladung der Tänzerin/Choreographin Karima Mansour, die ich um ein Treffen bat, als gut vernetzte Kontaktperson für andere Musiker, Tänzer etc.  Wir haben ein Treffen zum gemeinsamen Improvisieren verabredet. Wenn das gut läuft, sind eine kleine Performance während meines jetzigen Aufenthalts, eine etwas größere für die Tagung CairoTraces geplant.

02/04/2011

Montag, 4. April 2011

http://www.mediadesign-guc.com/index.php/Main/HomePage

Eine Frage der Perspektive?


Kaum angekommen in Kairo, schon im Seminar an der GUC, das Seminar von Daniel Fetzner über Media Installationen.

Es geht um den Begriff der Perspektiven: wie kann man ein Ding erfassen, was ist es in seiner Vollständigkeit?
Jeder sieht aus einer anderen Perspektive. Keine der Beschreibungen ist vollständig. Auch die Summe aller Beschreibungen wird das Ding an sich nicht erfassen, es ist nur eine Annäherung möglich. Die Anzahl der Perspektiven ist Unendlich. Und doch meinen wir zu wissen. Sind wir uns der Unvollständigkeit unserer Wahrnehmung bewusst, haben wir schon etwas verstanden. Es begrenzt die Vorstellung, im Besitz  der einen Wahrheit zu sein, macht uns weniger empfänglich für Ideologie und wir sind in der Lage unsere Wahrheit mit Respekt für unsere Gegenüber zu vertreten.
Und doch bleibt unsere Sehnsucht nach der EINEN WAHRHEIT. Gibt es nicht die eine Perspektive, die alle anderen in sich vereinigt?
Oder trägt nicht der Same die Information des Baumes in sich? Gibt es solch ein Vollständigkeits-Gen in uns?

Nun bin ich in Kairo mit vagem Auftrag, fremd in der Stadt fremd in der Kultur und versuche einen Fokus, eine Perspektive zu finden. Denn das ist die andere Seite der Perspektive: nur durch das bewusste Einnehmen einer Perspektive  sind wir in der Lage überhaupt aktiv zu werde. Wir haben eine Wahl.

Ich betrete diese Stadt mit vorsichtiger Neugier, angerührt von dem tiefen politischen und gesellschaftlichen Prozess, den die Gesellschaft hier durchlebt, möchte etwas verstehen. Ich möchte meine Arbeit gerne in den Rahmen, der mir hier zur Verfügung steht, einbringen, meiner Erforschung von Wüstenklängen nachgehen, den Klang dieser Stadt erfassen und sehen welche künstlerischen Szenen und Menschen es hier gibt.
Alles steht irgendwie offen, aber wie, wie bitte fange ich an?

31/03/2011