Mittwoch, 30. November 2011

CairoRoundabout Dialog Daniel Fetzner - Harald Kimmig



"Die Selbstwahrnehmung des Akteurs auf der Ladefläche des Wagens wird nach den Erscheinungsformen des prozeduralen, des situativen, des zwischenleiblichen, des inkorporativen und des traumatischen Leibgedächtnisses untersucht."


Welche Beziehung hat sich im Verlauf der Tage zu dem Pick Up ergeben? Zu was für einen Ort hat sich die Ladefläche entwickelt? (Bühne, Zuhause, Arbeitsplatz)

Die Fläche des Pickups war ein Nicht-Ort.

Das Graue des Filzes  hatte eine wohltuende Neutralität. Nichts war vorgegeben, der Ort war jenseits aller Kulturen, aller Stilistik. Wenn ich vom Außen überreizt und ermüdet war, war der Blick auf die graue Ladefläche ein Rückzugsort, komplett unabhängig von seiner Umgebung. Wie ein kleines Kind, das meint, wenn es die Augen schließt, könnte es nicht gesehen werden, war die Ladefläche des Pickups der Ort, an dem ich mich unsichtbar machte und mich ganz in Privatheit zurückzog.

Es gab auch Momente in denen ich mich in meinen Aktionen und in meiner Wahrnehmung nur auf die Ladefläche konzentriert habe, ganz so als ob ich in einem Studio oder  auf einer Probebühne arbeiten würde. Dann fand meine Aktion innerhalb dieser kleinen Fläche und hatte nicht den Anspruch über ihren Rand hinaus zu reichen. Das waren auch die Momente in denen ich die Möglichkeiten dieses Ortes erforscht habe: welche Bewegungen sind möglich, welche Klänge kann ich finden etc.; so wurde die Ladefläche zu meinem Labor.
Von da aus konnte ich meine Wahrnehmungs-Kreise konzentrisch nach Belieben vergrößern und verkleinern: in Konzentration auf mich und mein Instrument, weiter in Konzentration auf die Ladefläche, schließlich in Konzentration auf die Orte, die wir durchfuhren.

In diesem prozeßhaften Agieren zwischen Rückzug und Extroversion konnte die ‚Filzwanne’ über weite Strecken zu einer Bühne werden, auf der ich auch wie auf einer Bühne agiert habe: die innere Haltung wurde zu der eines Musikers, der eine Performance aufführt.


Welche Momente waren besonders gelungen? Warum?

die Fahrt durch den Souk:
Im Souk waren wir am Nähesten an den Menschen dran. Ich mochte die spontanen Reaktionen fast aller Menschen, die uns sahen. Schöne Bilder, die mir hängen bleiben: Männer die im Café von ihren Tischen hochspringen und winken oder Geigenbewegungen mit ihren Armen machen; Kinder, die hinter dem Pickup herlaufen und versuchen ihn zu erklimmen; neugierig verschämte Blicke von Frauen, Teens die ihre Fotohandys zücken -  viel freudiges Lachen allerorts. Für mich als Bühnenkünstler ein leicht einzufahrender Erfolg (fast schon ein Rattenfänger-Gefühl); interessant ist, daß fast alle Menschen auf das Bild unserer Anordnung reagiert haben, ob sie etwas von der Musik gehört haben, kann ich nicht sagen.


die Fahrt auf der Ring Road
Das komplette Gegenteil zu den Souks. Inmitten von hupenden LKWs, dem Gestank macht sich eine unfassbare Einsamkeit breit. Sowohl meine Klänge als auch meine Bewegungen waren für die Außenwelt überflüssig. Verloren in diesem Getümmel kam es bei mir aber interessanterweise zu einer für mich selbst erstaunlichen Reaktion: es entstand ein Gefühl der Ohnmacht und Wut, ich reagierte mit lautem Kratzen auf meinem Instrument, welches ich mir – zusammengekrümmt – wie ein Schild über den Kopf hob. Das mochte ich wiederum sehr als künstlerisches Bild/Klang und als authentische körperliche Reaktion, die fast ohne meine Zutun ablief. Sonderbarerweise fühlte ich mich in diesem Moment zutiefst verbunden mit meiner menschenfeindlichen Umgebung.

Wo und wann war Angst im Spiel?

Die größte Angst hatte ich immer, wenn ich im Vorfeld der Fahrten mir vor Augen hielt, was mir alles passieren kann. Das fing an in unseren ersten Vorgesprächen; dann in dem Moment als ich den Pickup zum ersten Mal sah (die verlockende Idee von CairoRoundabout wurde vom Gedanken zur Realität), weiter als du mir von der quälenden Zentrifugalkraft des Kreisverkehr sprachst, an dem Tag, an dem wir ihn drehten. All diese Ängste erwiesen sich als unbegründet, und – wie ich es in meinen furchtsamen Momenten auf einer anderen Ebene wusste –waren Projektionen in meinem Kopf, die mit dem tatsächlichen Geschehen nur bedingt etwas zu tun haben.

Furchtsam wurde ich auch, wenn der Fahrer des Pickups schnell fuhr; da gab es aber den Moment der Hingabe: ich hielt meine Aktionen nicht zurück, sondern passte meine Aktionen dem Tempo an: ich lies die Geigensaiten im Fahrtwind schwingen, sah zu, dass es mir den Bogen nicht aus der Hand wehte etc. Meine einzige Chance war es, zu vertrauen, dass jetzt nichts passiert.

Ich möchte aber nicht ausschließen, dass dennoch über allen Aktionen ein Hauch von Furcht lag, die mich vorsichtiger als nötig haben handeln lassen. Jetzt zurück zu Hause frage ich mich, wieso ich das eine oder andere nicht gemacht habe; Bewegungs- und Musik- Material, welches mir sonst selbstverständlich zur Verfügung steht, ist mir während aller Drehtage nicht eingefallen. Ich frage mich, ob das eine Folge von latenter Furcht ist.

Und noch eine Situation fällt mir ein: als ich alleine spielend die Fussgängerbrücke über die Eisenbahn überquerte, da schlug mir das Herz bis zum Hals; das war für mich die am wenigsten geschützte Situation während dieser Tage (später auf der Verkehrsinsel war das dann komplett vorbei).


Was war und blieb fremd für Dich?

Dazu fällt mir nichts ein. Ich hatte mir die Rolle des reagierenden Beobachters vorgenommen, und habe versucht das Gegebene so fraglos als  möglich anzunehmen. Während unserer Fahrten hatte ich nicht den inneren Raum, das Geschehen zu bewerten (schon, aber keine Zeit darüber nachzudenken). Ein wenig gehört es auch in mein Berufsethos des Improvisierenden Musikers, der alles was geschieht, spontan und bewusst  in Klangkunst verwandelt.

Fremd ist mir auf einer tiefen Ebene, wie Menschen in solche vergifteter Umwelt zu leben vermögen – das betrifft den Smog der Stadt, die Architektur, den Straßenbau etc. Fremd ist mir, daß eine solch Jahrtausende alte große Kultur so wenig Spuren im Leben der Ägypter hinterlässt. Fremd ist mir die Abwesenheit von Schönheitsbegehren. Fremd ist mir, wie wenig das Zarte im Alltag der Stadt seinen Platz hat.
Fremd ist mir die Security.

Beschreibe kurz den Unterschied zwischen Deinen Erwartung und der Realität?

Ich hatte nicht erwartet, dass mein Handlungs-Spielraum auf der Ladefläche des Pickups so beschränkt ist: ich dachte, ich könnte körperlich größer agieren (z.B. im Stand zu spielen) differenziertere  Musik machen (z.B. den Außengeräuschen meine Violingeräusche hinzuzufügen, das erfordert aber, wie ich gemerkt habe eine Umwelt die hörend ist). Die Fliehkräfte während der Fahrt waren um einiges stärker, als ich es erwartet hatte.


Wie war das Spiel in unbekannten Gefilden? (auf dem Pickup in Ägypten)

Das Unbekannte war mir nicht ganz fremd: vergleichbare Städte mit ähnlichen Strukturen wie Neu Delhi oder Marrakesh kannte ich schon und Kairo ist nicht sehr weit weg davon. Was ich nicht vorhersehen konnte, waren die Reaktionen auf unsere Fahrten.
Ich mochte die Fahrten sehr und jetzt im Nachhinein finde ich täglich mehr, wie reichhaltig CairoRoundabout für mich war.
Und wie bizarr: ein westlicher experimenteller Künstler in einer Filzwanne, die durch Kairo gefahren wird. Dieses Setting ist großartig (man sollte geradezu eine vergleichende Forschungsarbeit an vielen Orten der Welt daraus machen), sowohl als wissenschaftliche Indikation als auch als künstlerische Performance.

Und noch mal bizarr: da gibt es einen Menschen in einem filzbespannten Pickup in ägyptischer Megastadt – eine translokale Situation in einer arabischen Kultur – Beuys in Afrika – Kunst in Alltagssituation – dazwischen einen menschlichen Durchlauferhitzer und Transformator, das sind so viele verschiedene Ebenen, die da miteinander in Kontakt treten, aneinander vorbeilaufen oder zu etwas neuem beitragen, das mochte ich und mag ich sehr im CairoRoundabout (ein wenig fühlte ich mich auch wie der große Kubus in Kubricks 2001 Odysee im Weltraum).

Welche unerwarteten Momente haben sich ergeben?

Fällt mir schwer dazu etwas zu sagen. Das Unerwartete gehörte doch zur Versuchsanordnung. Insofern war das Unerwartete das Erwartete. Die Frage, die ich mir eher stellte, war ob ich für das Unerwartete bereit bin.
Kleine Augenblicke gab es dennoch, wie z.B. wenn der Pickup über Unebenheiten der Straße fuhr und mein Spiel/meine Aktion dadurch gestört war, wenn trotz des Fahrtwinds manchmal die Violinsaiten nicht zum schwingen kamen etc.

Unerwartet war für mich aber auch, wie schon oben beschrieben, meine Verwunderung darüber, wie schnell ich an meine motorischen und musikalischen Grenzen kam.

Dann muss ich aber doch noch ergänzen, dass unerwartet mancher Blick, manche Gestalt gewordene Biographie, manche Erlebnisse – z.B. der Junge in Dafour, der schon so erwachsen aussah, oder der alte Mann auf dem Esel, dessen Rhythmus mir so gefiel, aber auch beim Spielen auf der Verkehrsinsel das Taxi, welches unmittelbar vor mir hielt, der Kunde direkt vor meiner Nase ausstieg und mich komplett ignoriert hat, während um mich herum alle mich bestaunten –  all das mich innen tiefer berührt hat, als angenommen. Wieweit sich das auf meine Aktionen ausgewirkt hat, kann ich nicht sagen.

Wie hast Du in Verbindung zur Aussenwelt gestanden? Über Blicke, Gesten, Dein Spiel mit der Geige?

Ich hatte verschiedene Herangehensweisen.

Um nicht in ein Strassenkünstlerklischee zu verfallen und um (mir) klar zu machen, dass ich eine Kunstfigur bin, habe ich zumindest zu Beginn direkten Blick – und Gestenkontakt vermieden. Alle von Aussen kommenden Impulse habe ich versucht, direkt in Klang oder Bewegung zu verwandeln. So waren die Antworten auf die Aussenwelt bereits transformiert; oft habe ich dem Impuls, ein Lächeln zurück zu geben widerstanden und habe eher einen verwandelten Impuls in Form von Klang oder Bewegung zurück gegeben. Das viel nicht immer leicht, der Privatmensch Harald hätte schon gerne gewunken und gelächelt. In diesen quasi dialogischen Situationen war meine Antwort immer eine künstlerische. Im Verlaufe der Fahrten habe ich dann aber immer mal wieder versucht, meinen Privatimpulsen nachzugeben und dennoch in Klang/Bewegung präsent zu bleiben-  mit wechselndem Erfolg.

Ein anderer Ansatz war es, eigenes Material nicht als Antwort eines Dialogs mit der Stadt zu verwenden, sondern es so zu setzen, dass es Teil der Umgebung wurde, ich also versuchte etwas ‚durchzuziehen’, entweder indem ich konsequent an einem Material drangeblieben bin und versucht habe das zu spielen, unabhängig von Reaktionen oder Schüttelbewegungen des Pickups. Ich wollte da etwas in den Raum setzen, um zu sehen, wie es sich in das Gesamtambiente dieses städtischen Soundscapes einfügt, um darin als Farbe zu existieren und wieder zu verschwinden.


Welche unerwarteten Improvisationen haben sich ergeben?

Zumeist wenn ich ein Konzert mit Improvisierter Musik spiele, entdecke ich Klänge, die ich so noch nicht gespielt habe. Das gelang mir während des CairoRoundabouts nicht. In meinem Alltag arbeite ich auf meinem Instrument viel mit geräuschhaften Klängen wie Schaben und Kratzen. Wenn ich diesen Klängen viel Aufmerksamkeit widme und meine Wahrnehmung im Laufe des Spielens sich zunehmend verfeinert, werden die Klänge sehr musikalisch und das nicht nur für mich, sondern auch für meine Zuhörer. Jetzt ist der megastädtische Soundscape von Kairo nicht auf sensible Wahrnehmung gepolt. Da, wo diese erstmal hässlichen Klänge ‚im Original’ entstehen und in ihrer ganzen Grobheit eine ständige akustische Textur – Lärm – bilden, verschwinden diese sensiblen musikalischen Geräusche komplett; sie werden weder Teil dieser Textur, noch werden sie musikalisch wahrgenommen, oder fügen sich da ein. Es ist ein wenig wie wenn man eine zarte Jungpflanze in die pralle Sonne stellt oder ihr zuviel Wasser gibt, das überlebt sie zumeist nicht.
Wie wenig das Feine (und das bezieht sich nicht nur auf diese Geräuschklänge -  mit konventionellen Violinklängen war es zwar nicht so extrem, ihnen war aber mitunter ein ähnliches Schicksal beschieden) in dieser groben Umwelt sich eingliedern konnte, das führte in der Tat zu sehr vielen unerwarteten Improvisationen.
Für mich interessant war die Konsequenz, die ich – gar nicht mal besonders bewusst – daraus zog: ich setzte viel auf vertrautes Material. Das hatte ich nicht erwartet (vielleicht kam das aber auch aus der zuvor beschriebenen latenten Furcht).


Auf was hast Du besonders reagiert, wann und warum warst Du besonders "auf Empfang" geschaltet?

Kleinigkeiten: die laute Musik aus einem CD-Geschäft – einen Kontrapunkt schaffen zum Arab-Pop; das Schritttempo eines Esels  - ein rasch und entspannt klopfender Rhythmus; das Konzert der Autohupen - eine einzigartige Textur in ihrer Verdichtung und Vereinzelung; die Kreisbewegung des Roundabouts – repetetive Phrasen im Wechsel mit eruptiven Beats;  die Unebenheiten der Strasse – die Geige wurde schwerer zu spielen, mein Spiel wird  unterbrochen und brachte mich zu Neuem.


Wie war im Vergleich zum Pickup das Spiel in der Röhre und vor der Pyramide von Dashour?

Zunächst mal ein physikalischer: keine unkalkulierbaren äusseren Kräfte wirkten auf mich ein, ich befand mich auf ‚vertrautem Boden’. Risiken der Klänge und Bewegungen waren einfach zu kalkulieren, ich konnte den Verlauf der Dinge, die ich tat, selbst steuern. Das wirkte auf mich befreiend, nachdem ich zuvor über lange Zeit auf der Ladefläche des fahrenden Pickups verbracht hatte. Diese Befreiung entlud sich freudig in den Aktionen in der Röhre, im Wüstensand und an der Pyramide. Ich hatte mir für die Landschafts-Aktionen schon zuvor vorgenommen, mit Kreisbewegungen zu arbeiten, das hatte ich im Vorfeld geübt. Ich habe also das Material nicht spontan entstehen lassen, sondern bin mit einer klaren kompositorischen/choreographischen Idee in diese Situationen gegangen. Diese eigene Vorgaben musste ich dann  aber doch in der Situation modifizieren, aufgrund der Unebenheit des Bodens z.B. oder weil doch wieder Impulse von aussen hinzukamen wie z.B. das Geräusch vorbeifahrender LKWs an der Röhre, der Stimmen der fussballspielenden Kids an der Pyramide etc.
In der Röhre kam noch ein weiteres hinzu. Sie ist ein inspirierender Klangraum mit den verschiedensten Echos. Nach den Fahrten, in denen der Klang und die Aktion ins Offene geworfen waren, war es ein großes Vergnügen, in diesem Resonanzraum zu spielen.
Und schliesslich möchte ich noch von ‚Schönheit’ sprechen. Die Pyramiden von Dafour und der Ort auf den wir dort in der Nähe gestoßen waren, mit dem Grün, dem Teich am Rande der Wüste, im Hintergrund die Knickpyramide, weckten in  mir den Natur-  und Geschichtsromantiker. Dieser Ort war ein Idyll, trotz der Security, die dort auftauchte – und meiner Aktion keine Beachtung schenkten, zum Glück – und  trotz oder sogar wegen der fussballspielenden Kids, -  welches mich berührte und mich zusätzlich motivierte, dort in Aktion zu treten. Meistens misstraue ich solch einer Idylle, ich war aber so hingerissen dass ich (auch aufgrund des Zeitdrucks, den die Security und das Licht uns diktierte) mich fraglos ins Drehen warf, eigentlich mein Glück nicht fassen konnte, an solch einem Ort eine Performance zu machen.
Vergleichbar in ihrer Schönheit, jedoch in einer ganz anderen Richtung war die Aktion in der Röhre. Ein Kunstraum mitten in der Wüste, das schuf -wieder einmal- einen sehr widersprüchlichen Raum, wobei Natur vs Technik zu kurz gegriffen wäre. Erst im Nachhinein auf den Fotos habe ich gesehen, dass der Blick durch die Röhre einen scharfen abgegrenzten Rahmen für die Wüstenhügel schafft und den Blick in  den Himmel klar begrenzt. Diese Farbspiele zwischen Gelb und Blau, zwischen den Farben meines Kostüms und den Erdtönen (in Aug und Ohr) meiner Geige in dem scharf abgezirkelten Rahmen der Röhre  erinnert mich sehr ich an die Skyspaces von James Turell. Das war kein Idyll, das war eine ganz leicht gelingende Fokussierung der Wahrnehmung.


Was war der Unterschied auf der Ladefläche des Pickups im Vergleich zum Innenraum eines Taxis - wie ursprünglich geplant?

Die Sichtbarkeit unserer Anordnung mit all deren Konsequenzen. Das Taxi wäre eine Art Labor gewesen, in dem man mich beobachten kann, wie ich auf die kinesthetische Energie des Fahrens und auf die Aussenwelt reagiere, aber eine Reaktion von Aussen zurück wäre um ein vielfaches weniger gewesen. Gleichzeitig wäre das Taxi viel mehr ein Schutzraum für mich gewesen, auf dem Pickup war ich doch um einiges mehr einigen Unwägbarkeiten ausgeliefert: Reaktionen der Leute, Fahrtwind, Abgase, Lärm etc. In meiner Vorstellung wäre das Taxi eine abstraktere Version gewesen.


Was hätte man im Nachhinein anders machen sollen (Kostüm, Ladefläche, Setting)?

Kostüm und Ladefläche waren perfekt; das Zusammenspiel  der Materialien von Filz Stoff Blech, der Farben zwischen Gelb und Grau, das war sehr gut.
Daß manche Technik nicht nach Wunsch funktioniert hat, ist zwar schade, ich fand das aber nicht sehr gravierend.  An der Position der Festkamera auf dem Autodach würde ich nachträglich etwas ändern. Der Ausschnitt war so gewählt, dass ich in der hinteren Hälfte der Ladefläche gefilmt wurde. Das hat verhindert, dass ich Aktionen an der Fahrerkabine machen konnte, wo ich mich eventuell durch Hochschieben und Festhalten während Fahren in eine stehende Position hätte bringen können.

Ein paar konzeptionelle Fragen tauchten bei mir im Nachhinein auf. Dabei geht es um Fragen des Fokussierens. Mir war nicht ganz klar, für wen oder was ich da agiere. Bin ich ausschließlich das Objekt der Beobachtung? Ging es um meine (Re-)Aktionen? Ging es um die Reaktionen der Menschen, die mich sahen? Oder ging es darum, meine Performance als Farbe in die städtische Umwelt einzubringen? Oder ging es um eine Mischung von all diesen Aspekten? Wie weit bin ich Reagierender? Wie weit bin ich Akteur mit einer Zielrichtung?
Wenn wir ‚CairoRoundabout’ noch mal machen würden, wünschte ich mir mehr Vorbereitungszeit auf dem Pickup und mehr individuelle Vorbereitungszeit für körperliches Warm up und für musikalisches Einspielen. Manchmal waren die technischen Aspekte – verständlicherweise – der Aktion bei mir und auch beim Team vordergründiger als die kreative und inhaltliche Einstimmung.

Gab es Déja Vues während der Aufführungen? Falls ja, welche?

An Déja Vues im Sinne im parapsychologischen Sinne kann ich mich nicht erinnern. Es gab aber einiges, was mir bekannt vorkam. Kairo erinnert mich sehr an Neu-Delhi, einiges ist sehr charakteristisch ähnlich, vom Smog über den dichten Verkehr, den unfassbar vielen Menschen, dem nahen Beieinander–Liegen von Reichtum und Armut, dem Schmutz und dem Lärm. Was aber als Unterschied sehr manifest ist, ist der Unterschied zwischen der hinduistischen und der islamischen Kultur (worauf ich jetzt nicht weiter eingehe, das wäre eine weitere eigene Abhandlung).





Voice via Violin - Dialog Daniel Fetzner/Harald Kimmig


1. Wo wart Ihr während der Performance? Wie würdet Ihr den Ort des Zusammenspiels beschreiben?

Gute Frage, ich nehme einfach mal die verschiedenen Ebenen:
Alles von mir war in El Moneb. Ausgesendet habe ich aber in verschiedene Richtungen: in die Straßen, zu Jan, zum Freiburger Publikum. Das Auge richtete sich in die Umgebung, in den Himmel, auf den Boden. Das Bewusstsein richtete sich auf den Klang, meinen eigenen, auf den von Jan, und auf den gemeinsam erzeugten. Die Gedanken richteten sich auf den musikalischen Inhalt von klanglicher Interaktion, Fragen nach dem unmittelbaren weiteren Verlauf, ästhetischen Entscheidungen. Ich achtete auf Rhythmen und Klängen in unserer Musik, in meiner Umgebung.
Das Setting erforderte zwischen den verschiedenen Ebenen ständiges Umfokussieren, wachsames Handeln und ständiges Dranbleiben.
Realität entsteht immer im eigenen Kopf, im eigenen System. Da kann ich mich am ehesten verorten. In Momenten konnte ich alle weiteren erwähnten Perspektiven in diesem System integrieren

2. Zu Beginn gab es eine technische Unterbrechung, als der Wagen über eine Bodenschwelle fuhr. Wie habt Ihr diese erlebt?

Genau als das, nämlich als Unterbrechung. Alte Konzertregel: egal was passiert, mach weiter. Alleine habe ich in diesen Momenten die angefangene Spur weiter verfolgt, wohl wissend, daß Jan in Freiburg das gleiche macht. So war das wie Jazz, ich hab mir meinen Solo-Chorus genommen. Ich war sehr gespannt, wo Jan am Ende der Unterbrechung rauskommt und mit welchem Material wir es dann zu tun haben. Das spannende überhaupt an dieser Aktion: das setting ist so labil, dass jede Entscheidung -  gleich auf welcher Ebene -  im nächsten Moment schon hinfällig sein kann.

3. Ihr konntet Euch gegenseitig nicht sehen. Wie habt Ihr Euch den jeweils anderen vorgestellt? Wie habt ihr ihn aus den akustischen Signalen wieder zu einem Gegenüber zusammengesetzt?

Das war für mich kein Problem, da ich im Konzert oft die Augen geschlossen habe, um mich ganz in den Klang hinein versetzen zu können. Was ich vermisst habe ich die körperliche Präsenz meines Gegenübers, welches oft andere Signale aussendet, als der reine Klang. Insofern war diese Improvisation eine rein klangliche. So musste ich mir mein Gegenüber nicht neu zusammensetzen.
Was eher ein Thema war, war, daß der Klang und das, was ich sehen konnte zwei sehr verschiedene Geschichten erzählt hat, zumal das Spektrum der Klänge, welches wir verwendet haben, ein sehr differenziertes war, meine Umgebung aber relativ grob in der Erscheinung war. Diese Welten zusammenzusetzen, war spannend, aber auch eine große Herausforderung.

4. Die Skype-Verbindung war technisch und ästhetisch "brüchig", es gab zudem eine zeitliche Verzögerung. Wie lange schätzt Ihr diese ein? Wie konntet Ihr Euch im Lauf der Aufführung daran gewöhnen?
Mit dem labilen Verbindungsnetz hatte ich keine Probleme (s.o.). die zeitliche Verzögerung habe ich auch nicht in mein Spiel einkalkuliert, ich hab es gemacht wie immer in Konzerten: ich ging mit dem um, was ich im Jetzt höre. Eine zeitliche Verzögerung ist mir auch zu keinem Zeitpunkt aufgefallen.

5. Zu welchem Zeitpunkt war Euer Verbindungsgrad am höchsten? Was waren gelungene Momente?
Der Augenblick als ich auf der Karre lag, am Himmel ein klarer Mond, daneben ein Minarett, Geige spielend, Jan hörend.
Der Augenblick, als die Kids klatschen, ich den Rhythmus aufnahm, Jan mitzog.
Der Augenblick, als ich vom Wagen stieg, spielend, Jans Klänge im Ohr, in Vorwärtsbewegung transformierend.

6. Welche Rolle spielte für Euch das Publikum? Wie habt Ihr dieses erlebt?

Das Freiburger Publikum gab es nur in meiner Vorstellung, dass es überhaupt da war, merkte ich erst am Ende, als Applaus aufbrandete. Das Kairoer Publikum war mir umso präsenter: johlend, klatschend, tanzend, bestürmend. Ich bemerkte erst im Nachhinein, dass die Situation bedrohlich wurde, während des Spiels hatte ich ein spielerisches Gefühl im Kontakt mit dem Publikum.

7. Wie habt Ihr zu dem Ende gefunden?
Daniel gibt mir ein Zeichen, dass es besser wäre zum Ende zu kommen, so nehme ich im musikalischen Verlauf  die nächste Gelegenheit zu einem Ausstieg war.

Eine Frage noch: Worauf habt Ihr hingearbeitet?

Gute Musik, gute Bilder. Sowohl, die  die ich von meiner Kamera aussenden wollte, als auch wie ich mich den Dokumentaristen präsentierte: der Versuch eine gute Figur abzugeben.

Erlaubt mir noch eine letzte Frage, vielleicht in Ergänzung zu Frage 1.) nach der Hyperlokalität des Ortes:

Klaus Theweleit spricht in seiner Metapher des 3. Körpers, der sich zwischen zwei Akteuren "aus dem Zusammenprall der musikalischen Wellen und der ausgesendeten Wellen des eigenen Körpers" ergibt, von "Schwingungskorrenspondenz" als "psychophysischer Ausnahmezustand", von "Wellenverdichtungen im Raum". Inwiefern treffen diese Bilder auf Euer Zusammenspiel zu?

Dieses Vokabular stimmt natürlich und jedes genannte Wort kann ich unterschreiben. Mein Problem damit, ist es lediglich, daß diese Worte mir nicht viel erklären. Sie nähern sich  zwar geistig der Sache an, bleiben dabei aber auf eine etwas blutleere Art unvollständig. Ich selbst würde ein anderes Vokabular benutzen, welches aber mein Problem ebenso wenig löst. Das präsente Leben, in dem Körper, Herz und Geist , transzendentes, soziales, ästhetisches, physisches, psychisches etc.  in mir selbst, im Kontakt mit anderen und im Einklang mit der äußeren Welt integriert sind, bestimmt die unmittelbare Gegenwart und entzieht sich in diesem Moment fast immer den Worten. Im Gegenteil, die Wort schaffen mitunter eine Distanz zum Erlebten. Bin ich Teil eines  guten Kunstwerks oder bin ich Publikum davon, dann werde ich so unmittelbar in die Präsenz geworfen, daß mir hellwach alle Worte fehlen; alles ist vollständig.

Dienstag, 26. April 2011

Tahrir


Seit Mubarak und sein Clan in Haft sind, sind auch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz verschwunden. Das Spiel ist einfach, wie mir Mahmoud Refat, der Kairoer Musiker versichert: bleibt das Militär aktiv im Sinne der Demonstranten, bleiben sie ruhig. Wenn nicht, sind sie sofort wieder da.
Die gleiche Rechnung wird auf der anderen Seite aufgemacht: Halten die Demonstranten die Ausgangssperre nicht ein, wird der Platz geräumt.
Ein fragiles Gleichgewicht......

Mount Moussa


Montag, 18. April 2011

DISCARNATE MAN 03

Welch verrückte Performance!
Wenn trotz ausgiebiger Tests die Technik im entscheidenden Moment versagt, wenn kurz vor dem Aufbruch der Fahrer des Eselkarrens Angst bekommt in das Viertel El Moneb zu fahren, er dann am vereinbarten Treffpunkt nicht da ist und dann doch auftaucht, wenn nur unsere Anwesenheit einen Volksauflauf verursacht, wenn unser Security Man nervös wird, wenn dann auf einmal doch alles funktioniert, wenn dann Unterbrechungen geschehen....so viele Widrigkeiten, und dennoch die Performance gelingt.

Die Ablenkungsgefahren für mich sind enorm. Kamera und Ohrhörer am Kopf, lange Kabel verbinden mich mit dem Labtop. Viele Menschen bestürmen mich, vor allem Jungs, Teens, die mit mir in Kontakt treten wollen, mit Fragen, Antippen, Rufen etc. Es ist der musikalische Kontakt mit Jan Kurth am anderen Ende der Skype-Verbindung, der mir hilft bei der Musik und unsrer musikalischen Kommunikation zu bleiben. Unser Kairo-Zufallspublikum schafft eine Geräuschkulisse, die ich nicht ignorieren kann. Es wird gejohlt, geklatscht, telefoniert... Doch es fügt sich zusammen. Im gemächlichen Schritt des Eselkarrens kann ich – hoffentlich sichtbar für das Freiburger Publikum – den Blick zum Himmel wenden. Dort gibt es einen hellen dreiviertel Mond, ein beleuchtetes Minarett und Dunkelheit - ein wunderbares, friedliches Bild. Oder Feuer in der Dunkelheit, Müll der verbrennt. Das stinkt außerordentlich und sieht gespenstisch aus. LKWs fahren durch die Szenerie, die Scheinwerfer machen gleißendes Licht. Insgesamt eine inspirierende Situation. Ich kann über eine weite Entfernung ein Duo spielen, in den Klang eintauchen, eine Antwort von Jan ins Spiel aufnehmen und für Momente verbinden sich die Klänge zu einem Musikstück, jenseits aller Zeiten und Räume. Plötzlich verschmilzt dann alles: Jan singt, das Publikum in El Moneb klatscht einen Rhythmus, den ich aufnehme und so wird das Konzert ein Trio. Straßenkids, der Gesang, das Violinspiel.

Das Ende kommt jäh. Daniel gibt Zeichen zum Abbruch. Das Publikum verhält sich zunehmend bedrohlich, die Frauen unseres Teams werden begrapscht und belästigt, die anfängliche Neugier schlägt in wachsende Aggressivität gegenüber dem gesamten Team um.
Fast fluchtartig packen wir zusammen und fahren weg. Erst beim Bier im nahe gelegenen Hotel realisiere ich, welchem Stress das Team ausgesetzt war. Ein großes Kompliment, wie mir der Rücken freigehalten wurde. Ich hab während unsrer Aktion davon nichts mitbekommen.