Mittwoch, 30. November 2011

Voice via Violin - Dialog Daniel Fetzner/Harald Kimmig


1. Wo wart Ihr während der Performance? Wie würdet Ihr den Ort des Zusammenspiels beschreiben?

Gute Frage, ich nehme einfach mal die verschiedenen Ebenen:
Alles von mir war in El Moneb. Ausgesendet habe ich aber in verschiedene Richtungen: in die Straßen, zu Jan, zum Freiburger Publikum. Das Auge richtete sich in die Umgebung, in den Himmel, auf den Boden. Das Bewusstsein richtete sich auf den Klang, meinen eigenen, auf den von Jan, und auf den gemeinsam erzeugten. Die Gedanken richteten sich auf den musikalischen Inhalt von klanglicher Interaktion, Fragen nach dem unmittelbaren weiteren Verlauf, ästhetischen Entscheidungen. Ich achtete auf Rhythmen und Klängen in unserer Musik, in meiner Umgebung.
Das Setting erforderte zwischen den verschiedenen Ebenen ständiges Umfokussieren, wachsames Handeln und ständiges Dranbleiben.
Realität entsteht immer im eigenen Kopf, im eigenen System. Da kann ich mich am ehesten verorten. In Momenten konnte ich alle weiteren erwähnten Perspektiven in diesem System integrieren

2. Zu Beginn gab es eine technische Unterbrechung, als der Wagen über eine Bodenschwelle fuhr. Wie habt Ihr diese erlebt?

Genau als das, nämlich als Unterbrechung. Alte Konzertregel: egal was passiert, mach weiter. Alleine habe ich in diesen Momenten die angefangene Spur weiter verfolgt, wohl wissend, daß Jan in Freiburg das gleiche macht. So war das wie Jazz, ich hab mir meinen Solo-Chorus genommen. Ich war sehr gespannt, wo Jan am Ende der Unterbrechung rauskommt und mit welchem Material wir es dann zu tun haben. Das spannende überhaupt an dieser Aktion: das setting ist so labil, dass jede Entscheidung -  gleich auf welcher Ebene -  im nächsten Moment schon hinfällig sein kann.

3. Ihr konntet Euch gegenseitig nicht sehen. Wie habt Ihr Euch den jeweils anderen vorgestellt? Wie habt ihr ihn aus den akustischen Signalen wieder zu einem Gegenüber zusammengesetzt?

Das war für mich kein Problem, da ich im Konzert oft die Augen geschlossen habe, um mich ganz in den Klang hinein versetzen zu können. Was ich vermisst habe ich die körperliche Präsenz meines Gegenübers, welches oft andere Signale aussendet, als der reine Klang. Insofern war diese Improvisation eine rein klangliche. So musste ich mir mein Gegenüber nicht neu zusammensetzen.
Was eher ein Thema war, war, daß der Klang und das, was ich sehen konnte zwei sehr verschiedene Geschichten erzählt hat, zumal das Spektrum der Klänge, welches wir verwendet haben, ein sehr differenziertes war, meine Umgebung aber relativ grob in der Erscheinung war. Diese Welten zusammenzusetzen, war spannend, aber auch eine große Herausforderung.

4. Die Skype-Verbindung war technisch und ästhetisch "brüchig", es gab zudem eine zeitliche Verzögerung. Wie lange schätzt Ihr diese ein? Wie konntet Ihr Euch im Lauf der Aufführung daran gewöhnen?
Mit dem labilen Verbindungsnetz hatte ich keine Probleme (s.o.). die zeitliche Verzögerung habe ich auch nicht in mein Spiel einkalkuliert, ich hab es gemacht wie immer in Konzerten: ich ging mit dem um, was ich im Jetzt höre. Eine zeitliche Verzögerung ist mir auch zu keinem Zeitpunkt aufgefallen.

5. Zu welchem Zeitpunkt war Euer Verbindungsgrad am höchsten? Was waren gelungene Momente?
Der Augenblick als ich auf der Karre lag, am Himmel ein klarer Mond, daneben ein Minarett, Geige spielend, Jan hörend.
Der Augenblick, als die Kids klatschen, ich den Rhythmus aufnahm, Jan mitzog.
Der Augenblick, als ich vom Wagen stieg, spielend, Jans Klänge im Ohr, in Vorwärtsbewegung transformierend.

6. Welche Rolle spielte für Euch das Publikum? Wie habt Ihr dieses erlebt?

Das Freiburger Publikum gab es nur in meiner Vorstellung, dass es überhaupt da war, merkte ich erst am Ende, als Applaus aufbrandete. Das Kairoer Publikum war mir umso präsenter: johlend, klatschend, tanzend, bestürmend. Ich bemerkte erst im Nachhinein, dass die Situation bedrohlich wurde, während des Spiels hatte ich ein spielerisches Gefühl im Kontakt mit dem Publikum.

7. Wie habt Ihr zu dem Ende gefunden?
Daniel gibt mir ein Zeichen, dass es besser wäre zum Ende zu kommen, so nehme ich im musikalischen Verlauf  die nächste Gelegenheit zu einem Ausstieg war.

Eine Frage noch: Worauf habt Ihr hingearbeitet?

Gute Musik, gute Bilder. Sowohl, die  die ich von meiner Kamera aussenden wollte, als auch wie ich mich den Dokumentaristen präsentierte: der Versuch eine gute Figur abzugeben.

Erlaubt mir noch eine letzte Frage, vielleicht in Ergänzung zu Frage 1.) nach der Hyperlokalität des Ortes:

Klaus Theweleit spricht in seiner Metapher des 3. Körpers, der sich zwischen zwei Akteuren "aus dem Zusammenprall der musikalischen Wellen und der ausgesendeten Wellen des eigenen Körpers" ergibt, von "Schwingungskorrenspondenz" als "psychophysischer Ausnahmezustand", von "Wellenverdichtungen im Raum". Inwiefern treffen diese Bilder auf Euer Zusammenspiel zu?

Dieses Vokabular stimmt natürlich und jedes genannte Wort kann ich unterschreiben. Mein Problem damit, ist es lediglich, daß diese Worte mir nicht viel erklären. Sie nähern sich  zwar geistig der Sache an, bleiben dabei aber auf eine etwas blutleere Art unvollständig. Ich selbst würde ein anderes Vokabular benutzen, welches aber mein Problem ebenso wenig löst. Das präsente Leben, in dem Körper, Herz und Geist , transzendentes, soziales, ästhetisches, physisches, psychisches etc.  in mir selbst, im Kontakt mit anderen und im Einklang mit der äußeren Welt integriert sind, bestimmt die unmittelbare Gegenwart und entzieht sich in diesem Moment fast immer den Worten. Im Gegenteil, die Wort schaffen mitunter eine Distanz zum Erlebten. Bin ich Teil eines  guten Kunstwerks oder bin ich Publikum davon, dann werde ich so unmittelbar in die Präsenz geworfen, daß mir hellwach alle Worte fehlen; alles ist vollständig.